Als heute früh der Wecker klingelte war es gerade mal vier Uhr, doch heute war der Tag, auf den wir uns schon so lange gefreut und auf den wir uns schon so lange vorbereitet hatten. Während wir ich im letzten Jahr auf dem Bright-Angel-Trail meine ersten Grand-Canyon-Erfahrungen gemacht hatte, sollte es heute der South-Kaibab-Trail sein, der uns in den Grand Canyon hinein bis hinunter zum Colorado River führen sollte. Über 1.400 Höhenmeter trennen das South Rim vom Colorado, und die wollen doch erstmal bewältigt sein. Und auch wenn ich vor dieser Tour mächtigen Respekt hatte, ich freute mich auf die Herausforderung und auf das Erlebnis, die Schönheit und Naturgewalt dieses Canyons aus eigener Kraft zu erfahren.
Um 4.30 Uhr saßen wir mit unseren gepackten Rucksäcken in unserem Fahrzeug und fuhren dem Yaki-Point entgegen, wo wir Urby zurückließen und zunächst einen kurzen Fußweg zum Trailhead zurücklegen mussten. Um 5.17 Uhr sollte die Sonne aufgehen und es war schon ein tolles Gefühl an diesem frühen Morgen dem Tag entgegen zu wandern.
Bei gerade mal drei Grad Celsius und wolkenlosen Himmel startete der Trail in kurzen, sehr steilen Kehren abwärts, und während wir stetig bergab gingen erlebten wir einen grandiosen stimmungsvollen Sonnenaufgang, den wir ganz für uns alleine hatten. Die Gruppe der Mulis war offenbar schon vor uns unterwegs gewesen - frische Hufspuren und deren herbe Hinterlassenschaften waren nicht zu übersehen - doch von anderern Hikern war zumindest auf dem ersten Teilstück weit und breit nichts zu sehen. Wir genossen es hier zu sein in dieser traumhaften Natur, kamen gut voran und fühlten uns glücklich und frei. Bereits um 6.00 Uhr hatten wir den Aussichtspunkt der Cedar Ridge erreicht, die erste Zwischenetappe, und hatten so bereits eine Strecke von 2,4 km sowie 300 Höhenmeter zurückgelegt.
Welch ein grandioser Ausblick lag hier vor uns, der sowohl in den Westen als auch nach Osten reichte. Auf der Südseite konnten wir auf dem Tonto Plateau den geraden Weg erkennen, der von Indian Garden zum Plateau Point führt, unser Ziel des letzten Jahres. Wie winzig klein dieser Weg sich da unter uns entlang schlängelte, wie kurz die Entfernung zu sein schien, und wie anstrengend hab ich das doch in letzten Jahr empfunden. Wahre Glücksgefühle kamen in uns auf, als wir hier standen und die geheimnisvolle Weite und Schönheit dieses Canyons in uns aufnahmen. Und wie winzig klein fühlten wir uns inmitten dieses Naturschauspiels.
Am Osthang der Cedar Ridge und des O'Neill Buttes, um dessen Klippe wir herum mußten, führte der South Kaibab Trail hinab auf die Felsen der sog. Redwall-Schicht (wie geologische Auskunftstafeln zu berichten wussten). Bis wir die Klippe umrundet hatten gab es zwar auch ein paar flachere Abschnitte, doch im wesentlichen ging es in unzähligen Serpentinen steil abwärts, und ich machte mir doch schon zwischendurch Sorgen wenn ich so an den Aufstieg dachte. Doch verscheuchte ich diese Gedanken, zu begeisternd waren die Ausblicke und die damit vorhandenen Emotionen. Wir passierten den Skeleton Point und um 6.45 Uhr erhaschten wir dann auch den ersten Blick auf den Colorado River, der sich geschätzte 400 Meter unter uns seinen Weg durch den Canyon bahnte. Wir konnten die Stromschnellen erkennen an der Stelle, wo der Bright Angel Creek von Norden her in den Colorado mündet, und unser Ziel, die Phantom Ranch, schien gar nicht mehr so weit zu sein.
Wir marschierten weiter, wenn möglich den Colorado nicht aus dem Blick lassend, steil bergab in unzähligen Kehren, und irgendwie zogen sich die letzten 200 Meter fast unendlich. Das Ziel schien schon so nah vor Augen, doch immer und immer wieder kam eine neue Kehre, die es zu umrunden galt, und auch mein Fahr- bzw. Laufgestell zeigte vom steilen Bergabgehen zwischenzeitlich ein paar untrügerische Ermüdungserscheinungen. Doch so weit gekommen gab es jetzt kein zurück mehr. Jetzt lag schon die Black Bridge vor unseren Augen, Boote waren auf dem Colorado River erkennbar, die Zikaden machten lautstark auf sich aufmerksam, wir hörten das Rauschen des Flusses ... ja, jetzt waren wir ganz nah dran. Bald hatten wir es geschafft.
Gegen 8 Uhr erreichten wir den Tunnel, der zur Suspension (Black) Bridge führte, und in dessen Schatten wir uns kurzfristig Abkühlung und Erfrischung verschafften. Schließlich hatte es hier herunten um die frühe Tageszeit bereits 28 Grad, und uns war klar, dass die Temperaturen weiter steigen würden. Schließlich befanden wir uns jetzt im Inneren des Canyons, wo sich die Hitze in besonderer Weise staut.
Auf der anderen Seite des Colorado angekommen wandelte sich die bisher herbe Berglandschaft in ein grünes Idyll. Zunächst empfing uns eine recht große Sandbucht, an deren Ufern die Bootsfahrer eine kurze Rast einlegten. Doch ich fühlte mich rechtschaffen müde, die Knie wackelten, und ich war jetzt erstmal froh, als wir um 8.30 Uhr die Phantom Ranch erreichten. Was für ein herrlicher idyllischer Platz, ein kleines Paradies, an dem man nur zu gerne eine Pause macht. Und hier gab es Wasser. Herrlich frisches kühles Wasser, das wir uns erstmal in unsere Kehlen und über unsere Köpfe fließen ließen, und hier gab es wohltuenden Schatten, und hier gab es den Bright Angel Creek, der mit sanftem Rauschen an der Ranch vorbei zog.
Nachdem wir uns mit Essen und Trinken gestärkt hatten zog es uns unaufhaltsam hinunter zum Bach. Wir zogen die Schuhe aus, liefen in dem eiskalten Wasser herum, tränkten unsere T-Shirts mit dem kalten Wasser, und so dauerte es nicht lange, bis auch ich mich wieder erfrischt und gestärkt für den Rückmarsch fühlte.
Um 10.15 Uhr waren wir wieder - die Wasserflaschen frisch gefüllt und der Rucksack entsprechend schwer - auf dem Rückweg. Es war jetzt wirklich kernig heiß geworden, und v.a. das erste Stück nach der Black Bridge kam mir außerordentlich steil vor. Wir gingen bewusst langsam, Schritt für Schritt, nutzten jeden auch noch so kleinen Schattenfleck für eine kurze Rast, und ich versuchte auszublenden, welch langen Weg wir noch vor uns hatten. So kamen wir zwar langsam, aber doch stetig voran und feierten alle 100 Höhenmeter, die wir geschafft hatten, wie einen kleinen Sieg. V.a. ich setzte mir gedanklich immer kleine Zieletappen, die ich erreichen wollte -, und so klappte es diesmal mit der Kraft- und Energieeinteilung doch ganz gut.
Super waren an diesem Tag die Power-Gels, die wir bei uns hatten, und die wir ca. alle 45 Minuten zu uns nahmen. Die schmeckten zwar nach warmem Kunststoff und somit abscheulich, doch sie taten ihren Zweck und sorgten dafür, dass unsere Energiespeicher nicht ausgeräubert wurden. Und super war, dass wir doch immer wieder schattige Stellen fanden, in deren Schutz wir zwischendurch immer wieder ausruhen und ausschnaufen konnten. Bis auf ein paar wirklich steile Stellen, in denen ich mächtig Kraft investierte, und v.a. auch auf den letzten 100 Höhenmetern, an denen ich mich einfach schon gehörig ausgepowert fühlte, schafften wir die Strecke dann doch ganz gut und erreichten so gegen 16.30 Uhr den Ausgangspunkt des Trailheads.
Während Ray erstaunlich "relaxt" ankam - er war ja wegen mir - für seine Verhältnisse - "gemütlichen" Schrittes unterwegs gewesen - war ich selbst doch sehr erschöpft, aber auch stolz, dass ich es tatsächlich geschafft hatte.
Nach Duschen und Körperpflege im Hotel waren die Schmerzen allerdings schnell vergessen, sämtliche Glücksgefühle der Welt gewannen Oberhand und wir genossen in Tusayan ein wohlverdientes leckeres Pizza, tranken eiskaltes Sam Adams Bier und ließen diesen grandiosen Tag noch mal Revue passieren. Dieser Tag war zweifelsohne ein Highlight, welches wir beide nicht so schnell vergessen würden.
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